Gekreuzigt – für mich?!

Michael Bracht

Eine eigenartige Schar hat sich da versammelt – es ist eine Gruppe, die für den aufmerksamen Betrachter voller Irritationen steckt. So liegt die gewöhnlich als „Gottes Mutter“ bezeichnete Frau in einer Weise am Fuß des Kreuzes, wie sie nirgendwo sonst in der Kunst zu finden ist. Zudem trägt sie nicht die für sie typischeKleidung - weder Blau noch Weiß oder Rot -, sondern grobe Strümpfe und Pantoffeln, was für die Gottesmutter geradezu undenkbar erscheint.

KalvarienbergWarum ist das so? – Weil es Flinck nicht um Nacherzählung oder Rekonstruktion der 'historischen' Ereignisse geht. Vielmehr hat Flinck hier bewusst ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Identifizierung versammelt. Er will auf diese Weise das Sich-Hineinfühlen, das Sich-Hineinleben in die Situation erleichtern.

Es geht ihm in seinem Bild also um Andacht, Versenkung, gläubige Betrachtung. – Und vor allem um die Frage: Was bedeutet dieses Ereignis der Kreuzigung für mich, ganz konkret?

Eine Frage, die auch uns heute gilt: Was bedeutet der Kreuzestod Jesus für mich heute und mein Leben in dieser Zeit?

Herzlich grüßt Sie alle,
Ihr Michael Bracht, P.



Gemälde: Govaert Flinck, Kalvarienberg, 1649 (Ausschnitt)